Hässliche Musik, die Spaß macht und gesellschaftliche Konsense dekonstruiert.
„Wir versuchen diffus zu bleiben.“
Diese oder ähnliche Aussagen fallen bei der Hamburger Band Deichkind immer dann, wenn es um eine Festlegung auf politische Themen und aktuelle Gesellschaftskritik geht. Die Band versteht sich als ein offenes Forschungsprojekt, das unter den Rahmenbedingungen der Bestandsaufnahme und der Ironie-Falle arbeitet. Das daraus resultierende Bandkonzept setzt auf eine Form von Inszenierung und Sprache, die eine bestimmte Resonanz provozieren soll.

Des Weiteren lässt sich eine Parallelisierung von künstlerischen Disziplinen (bei Deichkind: Musik, Text, Media, Performance) zur Bildung einer synästhetischen Einheit insbesondere bei den performativen Künsten erkennen, deren gattungsübergreifendes Handeln durch die Prozesshaftigkeit performativer Ästhetik bedingt wird. Diesem Zusammentreffen im ästhetischen Akt geht die Wandlung des Kunstbegriffs im Allgemeinen voraus, der sich seit dem 20. Jahrhundert immer mehr über eine reine Idee oder Handlungsanweisung − im Sinne einer Orientierung an ästhetischen Metabolismen − definiert als über eine visuelle und haptische Erfahrbarkeit im musealen Kontext. Diese Transformation hat im kunsthistorischen Diskurs die Idee vom Konzept eines performativen Gesamtkunstwerks hervorgebracht, das durch eine gegenseitige Bedingtheit von Lebenswirklichkeit und Kunst Aktualität in Prozessen katalysieren und so verändernd auf die Gesellschaft wirken kann.
Prozesse, die Wirklichkeit konstituieren, überschreiten „gehärtete und selbstevidente Normativitäte[n]“ und stellen so gesellschaftliche Zustände infrage. Die philosophische Frage nach der Wahrheit und danach, wem die Wahrheit gehört, wertet Monica Miller als Teil der HipHop-Kultur, wobei festgeschriebene Zusammenhänge der Realität als theoretische Fiktionen überdacht werden. In dieser Tradition spielt auch Deichkind mit Identitätsbildung als sozial-performative Konstruktion. Im Sinne des Performativitätsprinzips, bei dem durch Wiederholung festgelegter Normen Identität geschaffen wird, konterkariert Deichkind dieses Prinzip in der Zurschaustellung von Konsensen des Konsums, der Medien oder gesellschaftlicher Eingliederung innerhalb der kollektiven Grenzauslotung mit dem Publikum und dessen Aufwiegelung. Mit der Hinterfragung der Wirklichkeit als dem HipHop zugrunde liegenden Kultur-Prinzip von Dekonstruktion, im Rahmen einer maximal ausgeleuchteten Reflexion der Gegenwart, ist Deichkind am performativen Pol der HipHop-Kultur einzuordnen. Darüber hinaus lassen sich konkrete Bezüge zu Handlungsprinzipien künstlerisch performativer Praktiken herstellen, von (Neo-)Avantgarde bis zu zeitgenössischen Formen performativer Kunst.

Erfahren Sie bald mehr unter dem Menüpunkt Essays.
Titelbild aus Deichkind: Eine Prise Mythos, 2012, Reportage © Nikolaus Brade.
Autorin: Nora Wessel
Besuchen Sie modernperformingart auch auf Facebook, Instagram und YouTube
https://linktr.ee/modernperformingart
Literatur
Ewert, Laura: Deichkind-Interview, ZEIT ONLINE 2015.
Vinzenz, Alexandra: Vision „Gesamtkunstwerk“: performative Interaktion als künstlerische Form, 2018.
Miller, Monica im Gespräch mit Sookee: Anleitung zur Dekonstruktion, in: Philosophie des HipHop: Performen, was an der Zeit ist, hrsg. v. Manemann, Jürgen (u. a.), 2018.
© 2022